Drachenblut - Literarische Erörterung 2

Drachenblut – Literarische Erörterung – Kapitel 5  S. 58-59


Die Novelle “Der fremde Freund” von Christoph Hein wurde 1982 in der DDR veröffentlicht und des Titelschutzes wegen 1983 in der Bundesrepublik als “Drachenblut” publiziert. Die Hauptthematik der Novelle it vor allem das Verspüren starker Entfremdung im Leben der alleinstehenden Ärztin Claudia und ihre Sicht auf Beziehungen und Mitmenschen im Allgemeinen. Im angegebenen Textauszug handelt es sich um den Spaziergang von Claudia und Henry im Wald. Kurz drauf folgt auch die Vergewaltigung. Dieser Textausschnitt symbolisiert das Verhältnis zwischen Claudia und Henry sehr gut, vor allem was ihre “Vereinbarung” betrifft. Durch den Spaziergang im Wald wirkt Henry sehr genervt und er möchte eigentlich nur noch nach Hause gehen. Claudia jedoch genießt die Zeit in der Natur und möchte ihr Hobby, die Fotografie, mit ihrem “Freund” teilen. Dieser lehnt es jedoch hasserfüllt ab, es ist also sehr gut zu erkennen, dass eine Art Desinteresse ihre Beziehung prägt. Sie haben nichts gemeinsam und diese Einstellung -die reziprok ist- lastet sehr auf ihrem Verhältnis zueinander. Für Henry ist dieser Spaziergang eine “unnötige und sinnlose Strapaze”, er macht sich noch nicht einmal die Mühe, es zu mögen. Claudia hingegen versucht seine Einstellung so gut es geht zu ignorieren und ihm wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Dieser Versuch scheitert jedoch, als Henry sich verletzt und die Frage, was er denn am Sonntag so vorhabe, bringt das Fass zum Überlaufen. Er ist so genervt, dass er aus dem Nichts sagt, dass er morgen zu seiner Frau fahre. Dieser Satz ist für Claudia ein emotionaler Schock, vor allem, weil Henry nie eine Frau vorher erwähnt hat und ihr diese Tatsache jetzt vor Wut gegen den Kopf wirft. Für Claudia handelt es sich um eine erneute Demütigung in ihrem Leben und es hängt auch wieder eine Art Verrat in der Luft: sie ist -gegen ihren Willen- die Affaire eines verheirateten Mannes. Dies verknüpft sie auch wieder mit ihrem ehemaligen Ehemann Hinner, der ihr damals fremdgegangen ist. Die Ärztin empfindet es als Vertrauensbruch und man merkt hier ganz deutlich, dass sie doch etwas für Henry empfindet und das trotz ihrer “Vereinbarung”. Claudia ist selbst erstaunt über ihr Verhalten und sie versucht diesen Schock auch wieder sofort zu verdrängen, damit Henry nicht Wind davon kriegt. Man merkt also, dass Claudia Schwierigkeiten hat, sich an ihre “Vereinbarung” einer oberflächlichen Beziehung zu halten. Henry sagt sogar noch: “[Sie] solle aufpassen, dass [sie] sich nicht in ihn verliebe. Er sei dafür ungeeignet.” Dieser Satz deutet die Katastrophe eigentlich schon an, doch Claudia ist nicht fähig, alles nur oberflächlich zu sehen. Für sie geht es nicht nur um den sexuellen Kontakt, sie sehnt sich förmlich danach, wieder in einem Paar zu leben, auch wenn sie es sich nicht eingesteht. Henry jedoch geht es nur um die gemeinsamen Nächte bzw. ums Abenteuer. Er hat kein Problem damit, in einer offenen Beziehung zu leben. Man kann sogar daraus schließen, dass keiner so richtig auf die Gefühle des anderen achtet und sie “emotional” aneinander vorbei reden. Dieser Kontrollverlust von Claudia, was die Situation betrifft, stört sie, und sie fängt an hysterisch zu lachen. Henrys Stolz wird somit verletzt und darauf folgt dann die Vergewaltigung. Diese Vergewaltigung hat einen großen Einfluss auf ihr Verhältnis, vor allem, da sie sich beim Abschied sehr fremd erscheinen. Man kann jedoch auch davon ausgehen, dass Henry diese Fremdheit wieder herstellen wollte.  Zudem spielt das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau hier eine große Rolle. Claudia gibt uns mehrmals zu verstehen, dass sie die Frauen hasst, die sich ihren Männern gegenüber unterwürfig verhalten und sich alles gefallen lassen, doch in ihrer Beziehung läuft es nicht anders. Claudia hat auch etwas mit Anne gemeinsam, obwohl sie immer sehr negativ über ihre Kollegin redet: “Andererseits, was habe ich mit ihren Vergewaltigungen zu tun. Sie hats weiß Gott verdient, dass sies alleine trägt.” Ab hier weiß Claudia, wie es sich anfühlt, dem Mann unterlegen zu sein, wenn auch nur für einen Moment. Sie möchte sogar getröstet werden, doch dies wäre Selbstverrat und deshalb handelt sie so, wie Anne auch immer: sie trinkt. Die Beziehung zwischen Henry und Claudia ist teilweise mit den anderen Beziehungen gleichzusetzen, vor allem was die Bösartigkeit seitens der Männer betrifft. Dieser Textausschnitt zeigt einem auch sehr deutlich, dass die beiden sich eigentlich sehr fremd sind un dass ihr Verhältnis von einem Kommunikationsmangel geprägt ist, da Claudia nie etwas von einer Frau wusste. Außerdem behauptet die Ärztin, dass irgendetwas an Henry komisch se und dass sie wüsste, dass diese Distanz bleiben würde. Das Verhältnis zwischen Henry und Claudia leitet den Leser zu der Erkenntnis, dass eine Art Schutzmechanismus bei Claudia vorhanden ist. In der Kindheit und als erwachsene Frau wurde sie mehrmals enttäuscht. Vor allem der Verlust von ihrer damaligen besten Freundin Katharina hat sie sehr geprägt. Claudia ist nicht mehr fähig, jemandem zu vertrauen. Sie möchte dieses Gefühl von Verlust, Einsamkeit und Leere nicht noch mehr verstärken und deshalb vermeidet sie jeglichen Kontakt zu ihren Mitmenschen. Nicht einmal ihrer eigenen Familie vertraut sie sich an, sie behandelt ihre eigene Mutter sehr kaltherzig. Ein Beispiel hierfür wäre folgende Aussage: “Diese Frau, die neben mir auf dem Bett saß, tat mir leid, doch weiter konnte ich kein Gefühl für sie aufbringen. (…) Es erschien mir seltsam, sie trösten zu sollen. Sie musste es ohnehin allein durchstehen.”Damals hat Claudia jedoch nicht nur Katharina verloren, sondern auch ihren Onkel, den sie sehr geliebt hat. Die Männer in ihrer Familie haben überhaupt einen großen Einfluss auf ihren Schutzmechanismus. Der Vater scheint ein Alkoholiker zu sein, der nichts auf die Reihe bringt, der Onkel begrapscht Claudia und Hinner geht ihr fremd. Claudia sieht die Männer sozusagen auch als “Brandstifter”, da die Freundschaft zu Katharina ja auch wegen eines Jungen zerstört wurde. Aber auch ihr ehemaliger Lehrer trägt Schuld, denn durch dessen Verhalten mit einer Schülerin wurde Claudia brutal aufgeklärt. Sie vermeidet also jeglichen Kontakt mit Männern so gut es geht und hat auch Angst, unter ihre Kontrolle zu fallen. Somit können wir also auf die Beziehungen zu sprechen kommen. Jede Beziehung in der Novelle weist ein anderes Problem auf, jedoch ist Claudias Schlussfolgerung immer die gleiche: die Frauen haben geheiratet, haben kinder und sind jetzt unzufrieden. Jede Beziehung mit der man Claudia konfrontiert, verstärkt die Idee, dass die anderen alles falsch gemacht haben und sie alles richtig gemacht hat. Jede einzelne Person in ihrer Kindheit , aber auch in der Gegenwart, hat negative Spuren in ihr hinterlassen und deshalb hat sie in “Drachenblut” gebadet, damit nichts mehr an sie rankommt. Claudia behauptet an Anspielung an den Siegfried-Mythos: “Meine Haut ist meine feste Burg. Ich habe in Drachenblut gebadet und kein Lindenblatt ließ mich schutzlos.” Man erkennt also die Angst, die Fremdheit gegenüber einer Person zu verlieren, da sie somit Gefühle für einen Mitmenschen entwickelt, durch die sie später verletzt werden könnte. Schlussfolgernd kann man also feststellen, dass die Beziehung mit Henry eine Art Lösung für Claudia darstellt. Sie behält diesen Schutzmechanismus, indem die beiden sich fremd bleiben, jedoch fühlt sie sich nicht mehr einsam und allein wie vorher. Claudias Vergangenheit hat ihr Leben als erwachsene Frau sehr im Griff und das ist auch der Grund, wieso das Verhältnis zwischen Henry und Claudia einem sehr fremd erscheint. Ich bin der Meinung, dass Claudias Beziehungen zu ihren Mitmenschen und ihre Beobachtungen eine Art Schutzmechanismus sind, da sie frei leben möchte, ohne unter der Macht eines Mannes zu leiden, und da sie jeglichem Verrat, Verlust und Vertrauensbruch aus dem Weg gehen möchte.